Das alte Pfarrhaus der Bartholomäusgemeinde in der Seebener Straße 192 hat sich in den letzten 20 Jahren vom Sorgenkind zum Erfolgskonzept entwickelt. Bei der ersten Besichtigung 1998 präsentierte sich das alte Backsteinhaus als eine Mischung aus DDR-typischer Verwahrlosung und verwunschener Idylle im Dornröschenschlaf. Auf den ersten Blick ein Paradies, auf den zweiten ein Alptraum. Die solide Bausubstanz bot eine hoffnungsvolle Grundlage, aber was aus dem 19. Jahrhundert durch zwei Weltkriege und die DDR-Mangelwirtschaft gerettet wurde, war nach den Maßstäben nach der Wende kaum nutzbar. Der Gemeindekirchenrat bemühte sich um eine Dachdeckung, installierte teilweise eine Zentralheizung, erkannte aber bald, dass weitere Maßnahmen mit den 200 m² Wohnfläche wirtschaftlich nicht umsetzbar waren. Außerdem gab es an den anderen vier Gebäuden einen ähnlichen Sanierungsbedarf.

Parallel war eine Gruppe junger Familien auf der Suche nach einem gemeinsamen Wohnprojekt. Die damals geplante Wohngenossenschaft WOGENO in Heide Süd kam nicht zum Entstehen. Aber es gab eine Menge guter Erfahrungen, die in ein Wohnprojekt der Gemeinde mit einfließen konnten. Es wurden die alten Ideen des Sozialreformers und Begründer des Genossenschaftsgedankens Victor Aimé Huber aufgegriffen. Menschen übernehmen gemeinsam Verantwortung für ihren Wohnraum und ihr Wohnumfeld als soziales Gut. Wohnraum wird nutzungsorientiert verwaltet und jeglichen Spekulationsbestrebungen entzogen. Alle Kosten einschließlich einer Rücklage werden gemeinsam verantwortet und getragen.

Angesichts der heutigen Diskussion um bezahlbaren Wohnraum für Familien und Mietpreisbremsen ging die Gemeinde damals mit diesem Modell einen innovativen Weg. Sie bietet Familien Raum zum Leben und bezieht sie gleichzeitig in die Verantwortung für diesen Wohnraum mit ein. Das heute aktuelle shared economy (Teilen gemeinsamer Ressouscen) ist hier schon vor Jahren mit einer gemeinsam genutzten Regenwasseranlage für die Waschmaschinennutzung, einer Werkstatt, Gewächshäusern und einem Gästezimmer bereits umgesetzt.

Um ein gutes Miteinander zwischen GKR und den Bewohnern langfristig abzusichern, gründeten die Bewohner den Verein „WOLEBA e.V. – Wohnen und Leben in Bartholomäus“ und schlossen mit der Gemeinde eine Nutzungsvereinbarung, die die Bewirtschaftung und Pflege von Haus und Grundstück regelt. Der Verein übernahm alle Verpflichtungen eines Vermieters und entlastete so den GKR von den Unterhaltungsaufgaben für das neue alte Pfarrhaus. Wir sind dankbar, dass in 20 Jahren WOLEBA sichtbar wurde, dass solch ein innovatives, soziales und christliches Projekt nicht nur eine Idee ist, sondern in dieser Form solide arbeiten und auch finanziell wirtschaftlich sein kann.

Geduld, Schweiß und Leidenschaft

Ein langer Prozess im Pilgerschritt – zwei vor und einen zurück – begann. Das Architekturbüro Däschler, das damalige Landeskirchenamt in Magdeburg, die Gemeindeleitung und die Gemeinschaft von sechs Mietparteien entwickelten innerhalb eines Jahres eine Bauplanung und ein Finanzierungskonzept, das aus einem Mix von Bank-, Bewohner- und Gemeindedarlehen bestand.

Dann folgte ein Jahr der Bauvorbereitung. Leider wurde der geplante Anbau aus denkmalrechtlichen Gründen nicht genehmigt, sodass am Ende vier Familien übrigblieben. Sie haben dann in ca. 2000 Eigenleistungsstunden das Haus komplett entkernt. Jeden Samstag war „Seebi-Einsatz“. Türen, Fenster, Öfen, Kabel, Rohre und Unmengen an Erde und Steinen wurden entfernt. Am Schluss musste das Dach abgedeckt werden und dann konnten im Februar 2001 die Bauarbeiten beginnen. Aus den ehemals 200 m² Wohnfläche entstanden nun knapp 500 m². Im Oktober 2001 zogen vier Familien mit 8 Erwachsenen und 15 Kindern ein.

Nachdem das Gebäude innen neu wurde, gab es in der Folge noch viel im Gelände zu tun. Die Bewohner behielten die Praxis der „Seebi-Einsätze“ bei und plante monatlich einen Einsatz zur Pflege und zum Erhalt des 4000 m² großen Grundstücks. So wurden große Teile der Umfassungsmauer instandgesetzt, Gartenflächen urbar gemacht, der Baumbestand gepflegt und viele handwerkliche Arbeiten zur Unterhaltung von Haus und Gelände getätigt.

Gastfreundschaft und Weltoffenheit

Haus und Gelände waren aber nicht nur Selbstzweck. Es sollte ein offenes, gastfreundliches Haus sein, das auch anderen Menschen und Zwecken dient. So entstand die Sammelstelle von „Weihnachten im Schuhkarton“, von der aus seit 2002 ca. 28.000 Päckchen an bedürftige Kinder in der Welt gingen. Hier wurzelt der Verein Navacopah e.V. und hat schon ein festes Band zwischen Gemeinde und dem Projekt auf den Philippinen geknüpft. Ein geräumiges Gästezimmer steht Freunden, Verwandten und Durchreisenden zur Verfügung. Im Laufe der Jahre fanden auch 16 ausländische Jugendliche und Studenten für bis zu einem Jahr eine Heimat und 44 Pflegekinder begleiteten den Alltag für kurze und auch lange Zeit.

Im Jahr 2021 besteht dieses Modell nun schon 20 Jahre und man kann es als Erfolgskonzept bezeichnen. Es ist eine Gewinnsituation für alle Beteiligten. Der GKR hat eine Bausorge weniger, die Familien fanden schönen Wohnraum, für den sie Verantwortung übernehmen. Die Gemeinde gewann engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Familien fanden in einer lebendigen Gemeinde Heimat, in die sie sich mit ihren Gaben einbringen können. Egal ob im GKR, im Chor oder beim Kirchencafé, Geburtstagsbriefe verteilen, Gottesdienste gestalten, in der Koordination der Kinder- oder Jugendarbeit oder dem Kirchendienst – überall findet man Leute aus der Seebi und manchen Sonntag auch mal Blumen von dort in der Kirche oder auf Kirchhoftischen. „Soli Deo Gloria“ (Gott allein die Ehre) steht in den Balken eingraviert über dem Hauseingang und in diesem Sinne wohnen und leben die Menschen hier und in der Gemeinde.

Gottfried Muntschick (Vorsitzender WOLEBA e.V.)

Herzliche Einladung zum Hoffest: Am Samstag, den 11.09. ab 14 Uhr. Mehr Details gibt es im Einladungs-Flyer.