Dieser Moment in jedem Gottesdienst: Eine Kirche voll stehender Menschen, die gemeinsam die gleichen Sätze sprechen, ihr Bekenntnis zum Glauben. Ein Teppich aus Stimmen und Worten, der mich trägt. Manchmal halte ich inne, um zuzuhören. Ich bin ein Teil davon, und ich bin es gern. Aber das war nicht immer so.

Ein neunjähriges Mädchen war ich, als vor fast 30 Jahren in Berlin die Mauer fiel. Und je mehr Zeit vergeht, umso deutlicher wird mir, wie sehr mich diese ersten Jahre meines Lebens in der DDR geprägt haben, begleitet von Erwachsenen, die in Misstrauen lebten und in der Angst, etwas falsch zu machen. Die ihre Träume von Freiheit und Selbstbestimmtheit begraben hatten.

Ein Teil meiner Erinnerungen geht so: Ich stehe in einer Menge und spreche die Worte, die alle sprechen. Schwüre und Eide, bei Fahnenappellen und an Feiertagen. Es sind nicht meine Worte, nicht meine Gedanken, und ich will da nicht sein.

Damals war ich zu klein, um diese Rituale in Frage zu stellen. Aber als es Geschichte war, wusste ich, das will ich nicht mehr. Kein murmelndes Menschlein in einer Menge sein, nicht aufgehen in einem Chor. Stattdessen: Frei sein. Es war mir nicht wichtig, irgendwo dazuzugehören. Bloß nicht mehr Dinge tun, die alle tun.

Mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung kam ich zum Glauben, wie man so sagt. Erst zögerlich, dann mit einem Ruck. So Vieles machte Sinn, tat mir gut und hob mich auf. Was ich aber nur gegen Widerstand konnte, war: Aufstehen und laut bekennen. Es lag nicht am Inhalt, der war mir nah. Es war die Form, die mich bedrückte; mein Trotz regte sich. Lange war ich eine schweigende Betende. Meine Stimme gehört mir, und die Gedanken sind frei.

Dass ich heute gern aufstehe zum gemeinsamen, stimmlichen Glaubensbekenntnis – das hat die Erfahrung bewirkt, dass dieses Bekenntnis nicht nur etwas anderes, sondern sogar das Gegenteil dessen ist, was ich als Kind erlebt habe. Kein monotoner Chor aus Gleichgeschalteten, der pflichtbewusst und eingeschüchtert etwas Geschriebenes wiedergibt. Sondern ein bunter Teppich aus den Stimmen freier Menschen. Frei zu denken, frei glauben, aber auch: frei zu zweifeln und zu hadern und frei zurückzukehren, wenn man soweit ist.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! – dieser Vers ist die Tageslosung am 16. Januar. Ein großer, vieldiskutierter Satz aus dem Galaterbrief. Für mich ist er eine doppelte Erinnerung: Daran, meine eigene Geschichte ernst zu nehmen. Und daran, dass ich hier richtig bin.

Katharina