Immer, wenn das Lied „Morgenglanz der Ewigkeit“, meist am Ewigkeitssonntag, im Gottesdienst gesungen wird, freue ich mich auf eine ganz besondere Weise und denke an meine Großmutter. Warum dies so ist, beschreibe ich im nachfolgendemText. Dieser ist ein persönlicher Erfahrungsbericht, den ich im Sommer 2018 für eine kleine Ausstellung der Künstlerin Luzia Werner zum Thema Leben und Sterben im Bernburger Schloss geschrieben habe. Sie hatte dazu eingeladen, persönliche Erfahrungen zum Thema Tod und Sterben aufzuschreiben für ein Begleitbuch zur Ausstellung. Da ist mir doch gleich etwas eingefallen…

„Ich freu‘ mich, dass ich bald nach Hause komme…“

Dieser Satz meiner Großmutter hat sich mir tief eingeprägt. Ich war 16 Jahre alt, als ich sie zusammen mit meiner Familie zum Sterben begleitet habe. Ich war in der 10. Klasse und hatte im Juni keine Schule mehr. Deshalb hatte ich besonders viel Zeit für Großmuttchen, wie sie von uns allen genannt wurde. Sie ist 89 Jahre alt geworden und hat die letzten Jahre ihres Lebens in unserer großen Familie verbracht, einer Pfarrersfamilie mit acht Kindern. Unsere Mutter war die Jüngste von fünf Geschwistern, es gab noch eine ältere Schwester, die anderen drei Kinder sind sehr früh
aus dem Leben gegangen, auch ihren Mann hat sie 1945 unter sehr schweren Umständen in Landsberg an der Warte (jetzt Polen) bis zum Tod begleitet. Diese leidvollen Erfahrungen haben meine Großmutter sehr geprägt, aber sie hat sich nicht verbittern lassen, sondern das Gegenteil war der Fall. Sie lebte mit einem tiefen Glauben und strahlte eine zugewandte Liebe aus. Dies ist mir nach ihrem Tod erst wirklich bewusst geworden. Da habe ich auch ihre Gedichte entdeckt, die in beeindruckender Weise davon zeugen.

Unsere Großmutter hatte nur ein kurzes Krankenlager. Ich bin sehr dankbar, dass mir die Zeit geschenkt wurde, sie im Juni 1971 in ihren zwei letzten Lebenswochen zu begleiten. Sie bat mich immer wieder, ihr aus der Bibel vor zu lesen, Jesaja 53 war ihre Lieblingsstelle. „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und nahm auf sich unsere Schmerzen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt“. Und dann sagte sie manchmal ganz unvermittelt diesen Satz: „Ich freu‘ mich, dass ich bald nach Hause komme…“ Sie wusste, dass sie bald sterben würde, aber sie hatte keine Angst davor, ein großer Frieden ging von ihr aus. Ich habe auch das Abendmahl miterlebt, das meine Eltern mit ihr feierten. In einer Nacht kurz vor ihrem Tod war sie sehr unruhig, auch das habe ich mitbekommen, weil ich im Nebenzimmer schlief. Aber danach ging wieder dieser Frieden von ihr aus. Und dann sagte sie einen Satz, den ich auch nie vergessen werde: „Wenn ich meine Augen zugemacht habe, singt bitte ,Morgenglanz der Ewigkeit‘- dann singe ich aus der anderen Welt mit.“ Kurze Zeit danach, am Nachmittag des 19. Juni 1971, habe ich gemerkt, dass sie nicht mehr atmet. Da hat sich die Familie an ihrem Bett versammelt und „Morgenglanz der Ewigkeit“ gesungen, so, wie sie es sich gewünscht hatte.

Dies war für mich eine tiefe und bleibende Erfahrung und hat meine Beziehung zum Sterben und zum Tod geprägt. Ich glaube daran, dass der Tod „nur“ ein Übergang in die unsichtbare Welt Gottes ist, die wir mit unserem Verstand nicht begreifen können. Das Buch von Jörk Zink „Am Ende ein gehen ins Licht“ hat diesen Glauben in mir gestärkt, auch dafür bin ich sehr dankbar.

Christine Rehahn