Ein Mensch öffnet sich einem anderen Menschen im Gespräch. Im Gebet rede ich mit Gott und öffne mich ihm. Dazu muss ich zunächst nicht einmal fest überzeugt sein, dass Gott mich hört. Ich sollte aber dafür sorgen, dass kein anderer mich stört. Denn, wenn ich bete, möchte ich ganz ungestört sein, damit ich ehrlich sagen kann, was ich auf dem Herzen trage. Ich möchte Gott weder mit meiner Frömmigkeit beeindrucken noch Zweifel verheimlichen. Das geht besser allein.

Was kann ich ihm sagen? Neuigkeiten? Sorgen? Ängste? Neuigkeiten interessieren Gott nicht. Er sieht unser Herz an und weiß über alles Bescheid. Ich könnte ihm Danke sagen, dass ich wieder Kontakt zu Heiko bekommen
habe. Und auch noch einmal Danke, dass ich neulich nicht mit dem Fahrrad in die Straßenbahnschienen geglitten bin. Ich will wie Wilfried Kretschmann auch für Angela Merkel beten, dass sie gesund bleibt. Und für die Mutter, der ich manchmal in der Stadt begegne und die so erschöpft wirkt. Der Grundton des Gebets ist nämlich die Bitte. Die Bitte um das tägliche Brot, die Bitte um Vergebung und Erlösung wie im Vater unser.

Ich bekomme immer mehr den Eindruck, dass das Gebet das Atmen meiner Seele ist. Wenn ich bete, zeige ich mir selbst und Gott, wie nötig ich ihn brauche. Wie wenig ich mir selbst genug bin. Denn das Gebet bezieht die Seele auf den ihr nötigen Dialog. Auf den Gott, nach dem die Seele dürstet. Feste Zeiten im Tagesablauf ermöglichen, zur Ruhe zu kommen und mit dem Beten vertrauter zu werden. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass je mehr ich bete, desto weniger Worte brauche ich dafür. So wie Liebende sich ohne Worte verstehen, so hört das Gebet auf zu reden und beginnt, auf Gott zu hören.

John Cage hat eines seiner Stücke 4’33“ genannt, weil es vier Minuten und 33 Sekunden lang ist. Er nennt es auch „Silent Prayer“, stilles Gebet. Es kommt tatsächlich ohne einen einzigen Ton aus. Viereinhalb Minuten Schweigen am Morgen wären ein guter Beginn eines Tages. Die gleiche Zeit in Worten an Gott aber auch. Es geht darum zu finden, was ich suche, und zu werden, was ich bin.

Eine gesegnete Zeit wünscht
Ihr Pfarrer Ralf Döbbeling