
Foto: René Schmidt
Es gibt viel Leid in der Welt. Viele Menschen tragen schwer an ihrem Kreuz. Sie schuften, plagen sich und darben trotzdem. Viele werden gequält und getötet. Und auch als Täter verbreiten sie Schrecken und Entsetzen. Wenn man alle zusammen nimmt und die Menschheit als Ganze sieht, dann fällt es schwer, den Nächsten pauschal als Menschenbruder und Leidensschwester am gleichen Schicksal zu erkennen. Irgendjemand muss es gewesen sein, der das Leid gebracht hat. Es ist ja nicht die Erfindung von Historikern und Journalisten.
Und zugleich fragen wir uns, woher das Böse überhaupt in die Welt kommt. Wer hat den Menschen ans Kreuz gebracht? Wer hat ihn in die Armut gestoßen, der dem Sturm und der Dürre folgt? Auch Gott scheint nicht unschuldig zu sein.
Die Kreuzigung von Jesus und seine Worte am Kreuz sagen mir: der Gott mit dem Gesicht des Menschen leidet mit. Das erklärt nicht alles. Auch für Christen nicht. Es erhellt die dunkle Seite Gottes nur zum Teil. Es bleibt weiterhin ein Geheimnis um das Leid in der Welt. Und wer die Botschaft von der Liebe Gottes leichtfüßig erzählen möchte, dem bleibt das Kreuz ein Klotz am Bein. Gottes Tun scheint zugleich Bindung und Bruch zu sein. Es ist Antwort und Frage zugleich, aber die Antwort hilft bei der Frage nach dem Sinn. Gott leidet. Er kann uns gut leiden. Er ist für uns, weshalb auch das Leid immer nur zum Teil gegen uns sein kann. Auch das Leid muss dienen.
Wenn wir das Kreuz Jesu betrachten, dann sehen wir etwas von dem Schmerz und der Verzweiflung aller, die leiden und mit anderen leiden. Wenn wir aber die Position des Gekreuzigten einnehmen und durch das Leid des Gekreuzigten die Welt betrachten. Also uns ans Kreuz begeben und wie der Gekreuzigte auf dem Bild durch den Leuchter die Welt anschauen, dann erkennen wir, dass kein Leid mehr außerhalb von Gott sein wird. Dieser Glaube schützt mich davor, an nichts mehr zu glauben. Gleichgültig und unverletzlich zu werden. Unglaube und Nihilismus sind nämlich auch keine Antwort auf die Frage nach dem Leid. Das Kreuz ist ein Halt in der Welt des Leides. Doch sein Sinn ist nicht oberflächlich.
Das Wort vom Kreuz wird mir nur dann zum Trost, wenn ich das persönliche und fremde Leid immer wieder und bald ausschließlich dadurch betrachte. Wenn ich es in das Geheimnis Gottes miteinbeziehe. Dann richte ich meinen Blick anders aus und bin nicht mehr gebannt. Ich werde neu beten, hoffen, lieben, beistehen, still sein können. Und doch, und davon kamen wir ja her. Menschen sind Opfer und als Täter. Das Kreuz als Logo der Christen bedeutet uns auch, dass wir im Namen des Gekreuzigten für das Leben und gegen Gewalt und Tötung aufstehen.
Pfarrer Ralf Döbbeling