Diese Auszüge aus ihrer Predigt im Pfarrbereich Hohenthurm hat Dorothea Vogel freundlicherweise für den Newsletter zur Verfügung gestellt.

  1. Wann ist Endzeit?
    Genauer: Kommt sie erst noch oder ist sie schon?

Die Endzeit als Wiederkommen von Jesus steht noch aus. Es wird noch gewartet auf das Wohnen Gottes bei den Menschen. Wenn gelten wird, was wir im letzten Buch der Bibel lesen:
Offb 21,4 [U]nd Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.

Aber die Endzeit ist auch schon da. Seit Jesu Tod und Auferstehung leben wir in der Endzeit. Vermutlich haben auch Sie bestimmte Assoziationen zu dem Wort Endzeit-Stimmung. Es ist düster, aussichtslos, unerträglich … Nicht nur in Kinofilmen, sondern auch beim Blick in die Geschichte oder die täglichen Nachrichten spüren wir sie. Und manchmal auch in der eigenen Biografie.

2. Wann endet meine Zeit?

Natürlich weiß ich das nicht. Und das ist auch gut so. Doch gibt es einen Satz aus den Psalmen, der mir seit vielen Jahren eine Orientierung ist.

Ps 90, 12 Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

Als ich diesen Satz zum ersten Mal beim Totengedenken in einem Gottesdienst hörte, empfand ich ihn als Zumutung. Ich wollte vom Sterben nichts hören. Sterben und Tod bedrängten mein Leben. Was hat das, bitteschön, mit klug werden zu tun, fragte ich mich. Nach einiger Zeit stieß ich auf einen anderen Satz. Einige werden ihn kennen: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter.“ Darüber konnte ich besser nachdenken. Was würde das heißen? Könnte ich das ermessen? Nicht wirklich. Aber doch gab er mir eine Entscheidungshilfe. Wenn etwas wichtig für mich ist, erledige ich es heute. Am besten gleich nach dem Aufstehen. Das erwies sich für mich als richtig.

Vor einigen Jahren hatte ich einen Sprüche-Adventskalender. An einem Tag las ich folgenden Text: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein erster.“ Hoppla, dachte ich. Was ist das denn? Das ist ja das genaue Gegenteil zu dem anderen. Ich fühlte mich herausgefordert. Herausgefordert, staunend, im Augenblick und intensiver zu leben. Nach und nach kamen beide Sätze für mich zusammen: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein erster und dein letzter.“ Und dann staunte ich nicht schlecht, als ich in diesem Jahr herausfand: Dieses Zitat wird als Ganzes dem Barockdichter Angelus Silesius zugeschrieben. [Anm.: Angelus Silesius, lat. Schlesischer Bote/Engel, eigentlich Johannes Scheffler, 1614-1677, Breslau, dt. Lyriker, Theologe und Arzt; Barockliteratur, der Mystik nahe stehend]

3. Wann nehme ich mir Zeit, mein Ende zu bedenken?

Für mich ist es das so genannte Kirchenjahr. Vom 1. Advent bis zur Woche vom Ewigkeitssonntag werden alle wichtigen Lebensthemen im Laufe des Jahres platziert und bedacht: Freude und Feiern, Fasten und Neubeginn, Ernte und Ende, auch Warten und Hoffen, Beistand und vieles mehr. Am Ende des Kirchenjahres ist Platz, um über das Ende des Lebens nachzudenken. Raum für Erlebnisse, Befürchtungen, Ängste und Trauer, Wut und Mutlosigkeit. Es ist Zeit, um nach Haltepunkten im Leben und im Sterben zu suchen. Nach Hoffnungszeichen und Licht Ausschau zu halten, die mir den Tod ausleuchten; die mir helfen, mein Ende anzuerkennen. Mein Leben ist endlich. Das macht es wertvoll.

4. Was erwarte ich nach dem Ende der Zeit?

Oder erwarte ich nicht, dass die Zeit endet, sondern immer fortdauert? Oder wenn sie endet, dass auch das Sein endet? Oder im biblischen Sinne, dass alle Zeiten, d. h. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfallen und somit ein Ganzes werden?

Dieses Ganze nennt die Bibel Ewigkeit. Sie öffnet sich. Sie ereignet sich. Und ich bin mittendrin und ganz lebendig. In diesem Sinne ist ewiges Leben für mich, wenn im Leben das Bisherige zusammenfällt, um ein Ganzes zu werden!

Dorothea Vogel