Angefacht: Selig, wer sucht, denn er wird gefunden werden

Jesus antwortete: »Ich bin der Weg und das Leben, denn ich bin die Wahrheit. Einen anderen Weg zum Vater gibt es nicht. (Johannes 14,6)

Ich habe diesen Satz nie als Seligpreisung gelesen, aber die Lektüre von Marie Noël hat mich darauf gebracht. Sie schreibt in ihren intimen Notizen, also vermutlich zuerst in ihr Tagebuch:
„Der Mensch, dessen bohrendes Denken schmerzlicherweise niemals aus sich heraus das Licht Gottes erreichen wird, dessen ganzes Leben Ihn aber sucht und dessen ganzes Wollen zu Ihm geht; dieser Gerechte, dieser Reine, dieser Geopferte, dieser Arme des Herzens, dieser allen Hingegebene, der in Christus auf verlorener Straße wandert, er wird eines Tages, im letzten Dunkel dieser Welt oder dem ersten der anderen [neuen], das Licht sehen, dem er folgt; und Der für diesen Menschen Weg und Leben war, an diesem Tage wird Er Wahrheit sein.“

Aus: Marie Noël, Erfahrungen mit Gott. Eine Auswahl aus Notes Intimes, Mainz 1961, S. 124

Das ist eine Seligpreisung. Selig, wer sucht, denn er wird gefunden werden und dann wird ihm Jesus die Wahrheit sein. Kann eine nicht aus dem Evangelium stammende Seligpreisung beseelen? Kann sie der Schwachheit unseres Glaubens helfen?

Wir wissen mittlerweile so viel über Individualität, dass allgemeine Aussagen für uns gänzlich banal geworden sind. Jedes Wort, jede Geste, jede Herausforderung, jede Krankheit, um nur ein paar Dinge zu nennen, gehen durch unseren Körper, durch unseren Geist und auch durch unsere Glaubensbiographie so besonders hindurch, dass man nicht annehmen könnte, es gäbe irgendeine Verallgemeinerung.

Jedoch auf unser je persönliches Seufzen, dass uns jemand hört und annimmt, reagiert Gottes Geist so persönlich und menschlich, dass es viele nicht nur individuell gebrauchen und sich selbst zu Nutze machen können. Es könnte sein, dass andere es auch in Anspruch nehmen.

Ich möchte sogar so weit gehen zu spekulieren, dass seit Thomas dem Zweifler für manche Sehen seliger ist als Glauben. Selbst wenn Jesus genau das in seiner Seligpreisung ausgeschlossen hat.

Ralf Döbbeling

 

Der Weg der Umkehr zum Leben

Die folgenden Auszüge stammen aus einer Predigt, die Dorothea Vogel am 10. Juli zum 4. Sonntag nach Trinitatis gehalten hat.

„Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte.“ (Joh 8,3)

Sie ist das Objekt der Geschichte. Wortlos, stimmlos und rechtlos steht sie dort, wo sie hingestellt wurde – in der Mitte. Die Frau ist beschämt und verängstigt. Starr steht sie da, wie versteinert, und blass sieht sie aus. Innerlich hat sie mit ihrem Leben schon abgeschlossen. Das Urteil ist so gut wie gefällt. Sie hat keine Perspektive.

Ich möcht dieser stimmlosen Frau heute eine Stimme verleihen. Ihrer Wortlosigkeit die Worte des Liedes „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“ gegenüberstellen.

EG 382,1
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr;
fremd wie dein Name sind mir deine Wege.
Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott;
mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen?
Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?
Ich möchte glauben, komm du mir entgegen.

Die Hände der Frau sind leer. Die Ankläger haben die Steine quasi schon in der Hand und damit die Entscheidung über Leben und Tod. Einen fremden Weg ist sie gegangen, als sie fremdgegangen ist. Einen neuen, fremden Weg wird sie gehen, den Weg der Umkehr und zum Leben. Ihr Los ist der Tod durch das Steinigungsurteil. Sie fragt nach anderem Segen und nach Zukunft. Und Jesus verheißt sie ihr: „Geh hin“, sagt er zu ihr. Und ein neuer Weg öffnet sich ihr.

EG 382,2
Von Zweifeln ist mein Leben übermannt,
mein Unvermögen hält mich ganz gefangen.
Hast du mit Namen mich in deine Hand,
in dein Erbarmen fest mich eingeschrieben?
Nimmst du mich auf in dein gelobtes Land?
Werd ich dich noch mit neuen Augen sehen?

Die Frau ist gefangen in ihrem eigenen Unvermögen, d. h. Gottes Gebote zu halten und seinen Willen zu tun. In diesem Fall ihre Sexualität in der Ehe zu leben. Sie hofft, gegen den Augenschein, auf Erbarmen, wenn sie fragt, ob sie in Gottes Hand und sein Erbarmen eingeschrieben sei. Als Zeichenhandlung schreibt Jesus auf die Erde. Ob sie das als Ja deutet und neue Hoffnung schöpft?
Ein Perspektivwechsel wäre die Lösung. Etwas mit neuen Augen sehen zu können. Sich selbst mit ganz neuen Augen zu sehen. Eine neue Sichtweise ändert ihre Situation und macht ihr verändertes Handeln, macht Umkehr erst möglich.

EG 382,3
Sprich du das Wort, das tröstet und befreit
und das mich führt in deinen großen Frieden.
Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt,
und lass mich unter deinen Kindern leben.
Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst.
Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.

„Sprich du das Wort, das tröstet und befreit!“ Jetzt schaut die Frau Jesus hoffnungs- und erwartungsvoll an. Und Jesus, der sich wieder gebückt hat, richtet sich auf und spricht zu ihr: „Wo sind sie, Frau?“ Und diese Ansprache bringt die Veränderung. Jesu Ansprache verwandelt die Frau vom Objekt zum Subjekt; macht sie sprachfähig und antwortfähig und verantwortungsfähig.

„Du, Frau. Ja, genau du. Dich meine ich. Hat dich niemand verdammt?
Sie aber sprach: Niemand, Herr.
Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht.“
Er richtet sie auf.
„Geh hin, d. h. ich schließe dir eine neues Land, ein neues Leben auf, und sündige hinfort nicht mehr. Lade von jetzt an keine Schuld mehr auf dich. So kannst du unter deinen Kindern, unter Deinesgleichen leben.“

Das erwartete Urteil über die Frau entfällt. Sie wird nicht verurteilt. Das Urteil wird ausgesetzt. Sie wird nicht ge-richtet, sondern vielmehr auf-gerichtet und neu von Jesus aus-gerichtet für ihren neuen Lebensweg. Dieser beginnt heute. Jesus gibt der Frau ihre Würde, ihr Ansehen und ihre Handlungsfähigkeit zurück und weist ihr den Weg nach Gottes Willen. Die Frau preist Jesus als ihr tägliches Brot und ihren Atem.

Beides ist lebens-not-wendig. Beides macht Leben erst möglich.

Dorothea Vogel

Angefacht: Es liegt alles bereit

Foto: Laurin Biewald

Nicht nur eine Konfirmation muss gut vorbereitet sein. Blumen, Gästeliste, Kleidung, Musik, Programm und vieles mehr soll stimmen. Alles muss rechtzeitig ausgesucht, besorgt, verschickt werden. Denn zu einem guten Fest gehört auch die Gelassenheit und Vorfreude der Gastgeber. Auch wir als ausrichtende Gemeinde haben uns gründlich auf die Konfirmation vorbereitet. Musik ausgesucht und geübt, Blumen bestellt, die Kirche geschmückt, die Wege gefegt und auch für den Gottesdienst und die Konfirmandinnen und Konfirmanden gebetet.

Und dann kommt der große Tag und aufgeregt ist man trotz aller sorgfältigen Vorbereitung. Und dann ist es gelungen. Und es war schön und auch rührend. Die Erinnerung wird bleiben. Eine Höhepunkt im Leben. Feste sind schön und wichtig. Sie heben die Stimmung, sie machen stolz und stärken die Gemeinschaft.

Wer jetzt nicht konfirmiert worden ist und auch nicht mehr konfirmiert werden wird, der muss nicht traurig sein, denn man kann ja auch Geburtstag feiern oder Weihnachten, aber auch Hochzeitstage und Einschulung oder irgendein Bergfest in der Mitte eines Anstiegs und Abstiegs einer Herausforderung.

Feste mit Saus und Schmaus werden vermutlich öfter erinnert als die vielen Tage der Arbeit und der Pflicht. Und deshalb sollte man sie sich gönnen. Einfach mal einen Tag genießen und mit Freunden und Familie frei machen und nicht auf den Pfennig schauen.

Jesus war auch kein Pfennigfuchser oder Partypupser. Nach dem Johannesevangelium ist sogar sein erstes Wunder eine Weinvermehrung gewesen. Damit hat er seinen Ruf als Asket schon mal gründlich ruiniert, was sich seine Gegner auch nicht scheuen ihm nachzutragen.

Wenn jetzt mit dem Sommer und seinen Gartenfesten und vielleicht auch mit Reisen leichte und schöne Tage auf Sie zukommen, dann freuen Sie sich daran. Den Sinn des Lebens findet man nicht nur im Arbeiten und Grübeln, sondern er kann einem einfach zufallen, wenn man sich beschenken lässt und Menschen begegnet.

Doch am schönsten ist es, wenn ein Fest auch mit einem Übergang verbunden ist. Wenn etwas Neues gefeiert wird. Eine Genesung, eine Befreiung, eine Prüfung, eine Entschuldigung, eine Bewilligung. Wir sollten uns nicht still in uns hinein freuen, sondern ausgelassen aus uns heraus gehen. Und die Freude mit anderen teilen.

Ich habe viel paraphrasiert, was wir feiern, aber letztlich feiern wir das Leben. Und das ist da. Es liegt offen vor uns. Wir können es eventuell verlängern, aber vor allem sollten wir es vertiefen. Es wird oft nicht besser durch viele vorbereitende Gedanken, Sorgen genannt. Dadurch verschreckt man es meistens sogar. Wir sollten es dankbar annehmen und zumindest hin und wieder feiern, um zu zeigen, wie sehr wir uns freuen zu leben.

Ihr Pfarrer
Ralf Döbbeling

Messias

Händels Oratorium „Messias“ wurde am 13. April 1742 in Dublin uraufgeführt. Und 280 Jahre später, während der 100. Händelfestspiele in Halle (Saale) wird es am 28. Mai 2022 wieder aufgeführt.
Ja, haben wir denn schon wieder Weihnachten? Der Chor wird singen: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“ Das klingt doch weihnachtlich und nicht nach Pfingsten. Oder?

Ich will Sie nicht unnütz mit Wissen quälen, doch tatsächlich hat Händel den Messias stets in der Fasten- oder Osterzeit auf den Spielplan gesetzt. Das geschah entsprechend des Gesamtumfangs, der sowohl die Prophezeiung und Geburt als auch die Passion und die Auferstehung Jesu inszeniert. Oft wurde es aber schon damals in seine Teile zerlegt und es wurden daraus zur Weihnachtszeit Weihnachts- und zur Osterzeit Osterkonzerte gemacht, die nur die jeweiligen Stücke zur Geburt oder Auferstehung zur Aufführung brachten. Aus der Geschichte ist also widerlegt, man dürfe den Messias nur bei Kälte und im Dunkeln hören.

Es geht mir aber gar nicht um Ihre Hörgewohnheiten. Wenn schon Händel die komplette Jesusgeschichte in einem Oratorium erzählt, müssen wir uns vielleicht fragen, ob nicht auch die zugegeben besondere Person gar nicht alles verkörpert, was die Prophetie an Erwartungen weckt. WunderRat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst sind wie Immanuel zumindest nicht zu Eigennamen Jesu geworden. Es sind vielmehr acht Erwartungen, die wir bis heute an seine Regentschaft knüpfen dürfen.

Gott sendet einen Messias, um Frieden zu schaffen, unverbrüchliche Treue zu verkünden und heilende Tröstung zu bringen. Das ist tatsächlich nur der Anfang. Wir dürfen mehr erwarten. Für uns und von uns. In uns klingen beim Hören Wünsche an, die wir hegen. Die Friedenssehnsucht muss gerade nicht noch vertieft werden, aber der Weg dahin schon. Um Shalom wird gerungen und in  Friedensgebeten gebeten.

Auch hier eine geschichtliche Richtigstellung: Jesus hat für sich nicht die vollkommene Erfüllung der Prophezeiung in Anspruch genommen, er hat als Fortsetzung seines Tuns den heiligen Geist,
den wunderbaren Rat, den kommenden Tröster versprochen und teilt sich mit ihm die Erfüllung der Prophetie. So dürfen wir uns in die Prince-of-peace-school einschreiben und gemeinsam Frieden
stiften üben. Indem wir Gewalt und Vorurteile überwinden. Gottes Geist kann uns befähigen, den Weg des Friedens auch nach Rückschlägen fortzusetzen. Ein Wort, eine Geste, eine Unterstützung
können viel bewirken.

Es wird wie ein Wunder oder eine Heldentat aussehen, wenn es gelingt. Aber wer hätte dem kleinen Kind in Bethlehem zugetraut, eine solche Wirkung zu erzielen? Warum nicht uns, in der Kraft
der Auferstehung die Angst zu überwinden und dem Heiligen Geist in uns vertrauen, Größeres zu bewirken?

Händel hat die Prophezeiung der guten Herrschaft dem Chor auf die Schultern und die Stimmbänder gelegt und nicht den Solisten. Wir können einstimmen.

Es grüßt Sie herzlich,
Ihr Pfarrer Ralf Döbbeling

Angedacht: Was ist mein Platz?

Gedanken zum diesjährigen Predigttext des Sonntags Judika (Markus 10, 35-45)

Das Brüderpaar Jakobus und Johannes ging mit einer Bitte auf dem Herzen zu Jesus. Einer Bitte, die ihre Zukunft, die ihren Platz betraf.
„Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden.“ Jesus sprach zu ihnen: „Was wollt ihr, dass ich für euch tue?“ Sie sprachen zu ihm: „Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.“

Ein großer Wunsch. Eine unverschämte Bitte. Sie wird zurückgewiesen.
Aber nicht die beiden Menschen. Sie werden angewiesen. Ja, Jesus weist ihnen einen Platz an. Aber nicht in der Herrlichkeit, nicht oben, sondern unten.

An diesem Unten kann ich mich stoßen. Es kann mich hinabwürdigen.
Am Dienensollen kann ich wund werden. Es kann mich zerbrechen.

Und es gibt ein Unten mit Würde und im Rahmen meiner Möglichkeiten.
Statt zu sagen „sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein“, könnte es heißen: Wer groß sein will, sollte großzügig sein. Und wer der Erste sein will, sollte ein Ersthelfer sein, wie einer, der Erste Hilfe leistet, wenn es gerade gebraucht wird.
Das ist für mich ein Unten, wie es gelebt werden kann.

Meine Prüffrage lautet: Dient es meiner oder meinem Nächsten, was ich sage oder tue? Dienst es, was ich denke oder weglasse, zum Leben?

Es gelingt mir natürlich nicht so oft, wie ich es gerne hätte.
Die Frage wiederum dient mir als Richtschnur.

Und ich kann auch nicht allein aus mir heraus dienlich sein.
Da brauche ich eine Rückbindung. Da brauche ich ich einen Platz, der mir Rückhalt gibt, mein Herz weit macht und meine Hände frei zum Handeln.

Für mich ist dieser Platz am Kelch. Der Kelch im doppelten Sinn.
Der Kelch als Gedächtnis des Abendmahles, das Jesus stiftete. Der Kelch, der uns vereint am Tisch des Herrn. Als Kelch der Gemeinschaft.
Und als Kelch des Leids – „gefüllt bis an den höchsten Rand“ – steht er symbolisch für die Passion Jesu. Wir erinnern uns in der Passionszeit an Jesu Leiden, Hingabe und Opfertod. Sein Kelch des Leids wird zum „Lösegeld für viele“. Der Kelch als Gedächtnis des Kreuzes.

Heute ist mein Platz am Kelch, der beides vereint: Abendmahl und Kreuz.

Der Kelch erinnert mich: Jesus diente uns, damit wir einander dienen können.

Dorothea Vogel

Angedacht: Guter Rat eines Freundes

Auf der Ikone von Jesus und seinem Freund – auf dem Bild ein Druck aus Taizé in der Petruskirche , wo man in der offenen Kirche sich an diesem Platz mit Jesus befreunden kann – sieht man auf den ersten Blick eine ungewohnte Szene. Jesus legt den Arm um Menas, der, wenn man den historischen Forschungen glauben darf, zunächst römischer Soldat und nach seiner Konversion zu einem Freund und Nachfolger Jesu wurde und als Eremit in Ägypten lebte, bis er um 300 n. Christus starb.

Es ist ein schönes Bild, wenn Jesus seinem Freund so die rechte Hand auf die Schulter legt. Es ist eine Beziehung auf Augenhöhe und beiden scheint es zu gefallen. Obwohl der eine – ausgedrückt durch das Buch – mehr Würde in die Beziehung einbringt als der andere, der nur eine kleine Papierrolle in der Hand hält. So scheint doch der vermeintlich Geringere den anderen mit seiner Rechten zu segnen.

Nur wie kann ich mir eine solche Befreundung wirklich vorstellen. Tun wir mal so, als hätten beide in echt miteinander gesprochen.

Jesus: Hallo Menas! Sei gegrüßt. Friede sei mit Dir. Wie geht’s?

Menas: Und auch mit Dir. Ich meine: Friede sei auch mit Dir. Gut, ich kann nicht klagen.

Jesus: Das hört sich ja fast wie bei meinen Freunden, den Germanen an. Nicht geklagt, ist genug gelobt. Hast Du tatsächlich Kummer?

Menas: Nein, nicht wirklich. Mich beschäftigt nur eine Frage seit einiger Zeit.

Jesus: Und die wäre? Trau Dich und stell sie. Komm schon!

Menas: Bitte verstehe mich richtig und sei bitte nicht sauer.

Jesus: Menas, wir sind doch Freunde. Und Du weißt, so zimperlich bin ich nicht. Da habe ich schon ganz anderes erleiden müssen. Raus damit.

Menas: Du bist mein Freund. Stimmt’s?

Jesus: Stimmt!

Menas: Ich bin stolz darauf, Du bist wahrscheinlich der, von dessen Freundschaft ich mich am meisten geschmeichelt fühle.

Jesus: Hör auf, mir Honig um den Bart zu schmieren. Sag endlich, wo die Sandale drückt.

Menas: Es sind Deine anderen Freunde. Wie die Pharisäer schon richtig bemerkt haben, bist Du nicht eben wählerisch in der Wahl Deiner Freunde. Ich zitiere: „Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen.“

Jesus: Stimmt, so war’s. Und ich würd´s wieder tun. Hat lecker geschmeckt und so waren die Höhepunkte meines Lebens die Begegnungen mit diesen Menschen.

Menas: Aber dann muss ich doch denken, dass ich nur durch die späte Geburt davor bewahrt worden bin, damals mit Dir in schlechter Gesellschaft von Verrätern, Prostituierten und ungewaschenen Tagelöhnern am Tisch sitzen zu müssen.

Jesus: Stimmt wiederum. Menas, Du ziehst Deine Schlüsse messerscharf. Ich pflege, mehr die Menschen als die Vorschriften zu achten. Ich liebe es, Menschen neue Wege zu eröffnen. Und ein bisschen freut es mich auch, wenn die braven, frommen, gesetzestreuen sich darüber aufregen. Dann muss ich manchmal schmunzeln. Und sie haben eine Denkaufgabe.

Menas: Siehst Du in mir denn eher den Kriegsdienstverweigerer, der seinem Leben eine gute Wende gegeben hat, oder den Sünder, der immer noch andere verachtet, weil sie anders sind als ich?

Jesus: Was wäre Dir denn lieber?

Menas: Ich bin Abbas Menas und bin ein rechtschaffener Mensch und Christ.

Jesus: So, so. Und wozu brauchst Du meine Freundschaft?

Menas: Du meinst, ich muss mich erst mit meinem Schatten befreunden, bevor ich Deine Freundschaft richtig schätzen kann?

Jesus: Ist das Deine Frage, die Du meintest, Menas? Ich glaube, Du bist ganz nah dran, eine große Erfahrung zu machen. Du versuchst gerade, dich selbst zu umarmen.

Menas: Aber ich will doch ein Guter sein. Dein Freund.

Jesus: Das bist Du auch, Menas. Du bist mein Freund. Und ich bin Deiner. Aber ich bin schon jetzt der Freund Deines alter ego. Sei Dir gegenüber freundlich. Nimm an, was Du jetzt kontrollierst.

Menas: Jesus, Du machst es Deinen Freunden gar nicht so leicht.

Jesus: Doch, mein Joch ist leicht, was Ihr Euch auferlegt ist schwer.

Menas: Hm, …

Dieses Gespräch hat so nie stattgefunden, aber es könnte zwischen uns und unserem Freund Jesus stattfinden.

Pfr. Ralf Döbbeling