„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

2. Korintherbrief 12,9

Liebe Leserinnen und Leser, vor mir liegt eine Karikatur. Das Bild erzählt von einer immer wieder schwierigen Situation an der Wohnungstür. In der Wohnung ist Fleiß, womöglich Hektik. Dies und das muss dringend besorgt werden. Da klingelt es, und vor der Tür stehen Menschen, die etwas zum Kauf oder zum Gespräch anbieten. Die Frau des Hauses steht mit umgebundener Schürze eher ratlos da. Sie dreht sich um und fragt ihren Mann: „Gerd, brauchen wir im neuen Jahr ‘ne neue Religion oder ist die alte noch o.k.?“

Der Witz in dieser Bildergeschichte ist schön, aber auch ernst. Wenn alles neu wird mit dem neuen Jahr, was ist dann mit der alten Religion? Tut’s die noch? Oder muss sich etwas Grundlegendes ändern?

Die Frage stellt sich gut am Beginn eines neuen Jahres, zugleich aber stellt sie sich an vielen Tagen. Die ganze evangelische Kirche in Deutschland ist in Bewegung und sucht neue Möglichkeiten, wo viele alte Gewohnheiten infrage stehen. Alle evangelischen Landeskirchen in Deutschland sind auf der Suche nach neuen Wegen, weil alte Wege verbraucht scheinen, Gelder fehlen und manchmal auch Menschen, die das Gewohnte aufrechterhalten haben und jetzt wegbleiben (Entsprechendes gilt, nebenbei gesagt, auch für alle katholischen Diözesen in Deutschland).

Viel Vertrautes steht auf dem Prüfstand. Da ist die Frage berechtigt, ob es nicht gleich eine ganz neue Religion sein soll?

Natürlich darf es Neues geben: Neue Formen, neue Zeiten, neue Aufgaben. Oder das Neue, das aus mehreren Gemeinden zusammenwächst. Wir werden in der Region und besonders in den Gemeinden Bartholomäus und Petrus in diesem Jahr viel Neues und neue Mitarbeiter erleben. Vieles darf und muss neu werden – außer dem Inhalt, der bleibt der alte. Der Inhalt des christlichen Glaubens ist kaum besser wiederzugeben als mit der Jahreslosung von 2012.

Paulus hat den Satz geschrieben in seinem zweiten Brief an die christliche Gemeinde in Korinth. Da erzählt er ganz persönlich, was er von Jesus selbst gehört hat, der zu ihm sagte: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

Das ist Inhalt unseres Glaubens. Unser Leben ist Gnade, auch wenn wir schwach sind. Schwäche macht Jesus zu einer Stärke. Davon darf nicht abgewichen werden: Unser Leben ist ein Geschenk, unverdient. Wir können uns nichts verdienen. Weder durch gute Werke noch durch feines Aussehen noch durch eine fromme Lebensführung.

Die Vorleistung kommt von Gott. Die Vorleistung heißt: Gnade. Wir leben aus Gottes Gnade. Wir können als Gemeinden mit der geringen Kraft leben, die uns gegeben ist. Und wir können dafür dankbar sein. Wir können mit neuen Mitarbeitern rechnen und dürfen sie dankbar willkommen heißen.

Gott schenkt neue Kraft. Das verspricht Jesus. Im Glauben können wir das Licht im Dunkel sehen. Das ist der gute Kern unseres christlichen Glaubens. Er veraltet nie. Wenn wir uns dieses Kerns bewusst bleiben, werden wir auch in schwierigen Zeiten neue Wege finden, diesen Glauben auszudrücken, zu feiern und einander weiterzusagen. Wir werden, wo es nötig ist, in anderen Räumen und zu neue Zeiten diesen Glauben feiern.

Das gilt für unsere Gemeinden wie für die ganze Kirche. Wir machen nicht irgendetwas einfach neu, sondern verhelfen unter veränderten Bedingungen dem Kern zu neuer Blüte und zu neuen Früchten.

Wenn wir bei der Sache bleiben, ist es egal was immer wir uns ausdenken und neu erfinden, die Botschaft bleibt, Gott sei Dank, auch im neuen Jahr die alte: Dankbarkeit für seine Gnade macht stark. Dafür verbürgt sich Jesus. Alles, was wir zum Leben brauchen, wächst hervor aus diesem Kern.

Gute Begegnungen und Gottes Segen in der Passions- und Osterzeit wünscht

Ihr Pfarrer Helmut Becker