14. Mai 2025 | Allgemein, Angedacht
Phoeben? Was soll denn sein? Bitte schön!
Unser Gemeindebrief heißt nach der Diakonin und Beiständin Phoebe aus Kenchräa. Diakonissen, die in dieser Gemeinde wirkten, u.a. im Kindergarten am Steilen Berg, nannten ihren Newsletter nach ihr, um über ihre Arbeit zu berichten und um finanzielle Unterstützung zu werben. Schnell wurde daraus in den frühen Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ein Gemeindebrief, der nicht nur über die diakonische Arbeit, sondern für die gesamte Bartholomäusgemeinde informierte.
Doch „phoeben“ gibt es als Wort offiziell nicht. Bislang zumindest. Jetzt beginnen wir eine hundertjährige Erfolgsgeschichte dieses neuen Verbs. Nicht im Sinne, noch einmal 105 Jahre eine Gemeindezeitung herauszugeben, sondern im Sinne von beistehen, zusammen halten.
Ich habe neulich eine beeindruckende Interpretation eines Knochenfundes durch eine Ethnologin gefunden. Auf die Frage einer Studentin, wann die menschliche Kultur begann, verwies sie nicht auf Angelhaken aus Bein, Schmiedearbeiten aus Eisen oder Schnurkeramik aus Ton, sondern auf einen verheilten Oberschenkelknochen, der gefunden wurde.
Dieser Fund belegt, dass sich ein Mensch oder eine Gruppe um einen verletzten Nächsten gekümmert hat. Ohne die Hilfe der anderen wäre der Mensch aufgrund des gebrochenen Beines wahrscheinlich verdurstet, verhungert oder einem Raubtier zum Opfer gefallen. Die anderen übernahmen für die Zeit der Heilung die Nahrungsversorgung, die Stabilisierung des Schenkels und seinen Schutz. Vielleicht haben sie ihren Nächsten sogar getragen, statt ihn zurückzulassen.
Das ist ein Synonym für menschliche Kultur. Ohne Solidarität gibt es keine Menschheit. Zur Menschlichkeit gehört es, einander beizustehen, zu phoeben. Wir brauchen immer wieder eine Beiständin, die bei uns bleibt, wenn wir nicht weiterkommen. Das muss kein Beinbruch sein, das meint jede Lage, in der ein Mensch Schutz und Unterstützung braucht. Bis die Person wieder selbstwirksam ist und möglichst keine Hilfe mehr benötigt, es selbst zu tun.
Das Gegenteil davon ist, dass der Mensch dem Menschen zum Wolf wird und jede Not oder Schwäche nutzt, um sie zum eigenen Vorteil zu missbrauchen. Das ist leider nicht nur tierisches, sondern leider immer wieder auch menschliches Verhalten. Die Anthropologin würde jede Menge unverheilter, tödlicher Wunden in unserer Zeit finden. Lassen Sie uns zusammenhalten und phoeben, indem wir Menschen beistehen.
Der Heilige Geist wird in den letzten Zusagen Jesu an die Gemeinde als Beistand oder Beiständin zum Glauben versprochen. Inspiriert durch den Geist Jesu wollen wir einander beistehen in der Liebe und in der Hoffnung.
Pfarrer Ralf Döbbeling
07. Mai 2025 | Angedacht
Ich stehe vor dem Spiegel und frage mich:
Bin das wirklich ich?
Oder nur ein Echo von Erwartungen,
ein Konstrukt aus Blicken und Bewertungen,
eine Hülle, geformt aus „Mach doch mal“
und „Warum bist du nicht wie…?“
Ich starre mir selbst in die Augen,
doch da ist nichts.
Kein Funken, kein Feuer, kein Ich.
Nur eine leere Fläche,
die meine Zweifel reflektiert.
Wer ist der Mensch da gegenüber?
Ist er echt oder nur ein Betrüger?
Bin das wirklich ich? Bin ich noch da?
Oder nur Fassade, Jahr für Jahr?
Und ich frage mich:
Wann genau habe ich angefangen,
mehr in anderen als in mir selbst zu sehen?
Wann wurde mein Wert ein Produkt von anderen
statt von Leidenschaft?
Wann habe ich verlernt, mich zu erkennen,
weil ich zu sehr damit beschäftigt war,
jemand anderes zu sein?
Spiegelbild, sag mir, wer ich bin,
wo führt mein Weg, was hat er für Sinn?
Bin ich nur das, was die anderen sehen,
oder steckt da mehr in meinem System?
Ich lach, wenn es von mir verlangt wird,
versteck, dass mein Herz manchmal Angst spürt.
Bin stark, wenn die Schwäche verboten ist,
doch was, wenn du hinter die Fassade blickst?
Spiegelbild, sag mir die Wahrheit:
Bin ich genug?
Oder nur eine Fassade,
die hält, solange keiner zu genau hinsieht?
Ich will mich fühlen.
Ich will mich sehen,
ohne Filter, ohne Erwartungen,
ohne das ständige „Was denken die anderen?“.
Ich will mich in meinen eigenen Augen finden,
in meiner eigenen Stimme hören,
in meinem eigenen Herzschlag spüren.
Ich will mich fühlen, will wissen, ich leb,
nicht nur funktionieren, weil’s Regeln gibt.
Ich will nicht nur das, was von außen bleibt,
ich will mein Inneres, frei von Leid.
Ich will ein Spiegelbild,
das mich nicht nur zeigt,
sondern mich erinnert,
wer ich wirklich bin.
Vielleicht ist das alles ein langer Weg,
auf dem man lernt, sich selbst zu verstehn.
Vielleicht muss ich erst durch die Schatten gehen,
um irgendwann klar in den Spiegel zu sehn.
Und wenn ich mich finde, dann bleib ich hier,
dann fall ich nicht mehr, dann gehör ich zu mir.
Dann brauch ich kein Bild, das mir sagt, wer ich bin,
dann weiß ich es selbst – von innen nach innen.
Emma Steinhardt
30. Apr. 2025 | Allgemein, Angedacht
– KÖNNEN
Eine Liste zum Streichen
Recht haben wollen
Sicherheit über Vertrauen stellen
Bitterkeit
Aus Verletzung heraus reagieren
Misstrauen
Hoffnungslosigkeit
Mich durchsetzen wollen
Unbarmherzig sein
Gleichgültigkeit
Abgelenkt sein
+ SINGEN
Eine Liste zum Staunen
Gott versöhnt und macht Versöhnung möglich
Gott ist größer als ich
Gott ist König und regiert
Gott lädt mich ein, Teil seiner Geschichte mit den Menschen zu werden
Reich Gottes funktioniert so anders als unsere Welt
Gott wurde Mensch, wurde wie wir, kommt mir nah
Gott heilt, verbindet, befreit
Gott schenkt Frieden über mein Verstehen hinaus
= WERDEN
Eine Liste zum Einüben
Staunen über mir Verborgenes
Fragen, um zu verstehen
Gnädiger mit mir und meinen Mitmenschen sein
Suchen, um zu finden
Gefunden werden
Am Kreuz weise werden
Großzügig vertrauen
Friedensbotschafterin werden
Versöhnt sein
Hanna Löffler
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19. Feb. 2025 | Angedacht
Diese Redensart hat mein Opa gern verwendet. Im ersten Satz tut der Mensch etwas und im zweiten Satz, wie eine Reaktion darauf, kommt Gott ins Spiel. Aber das ist trügerisch. Die Pointe dahinter scheint mir zu sein, dass Gott immer schon da ist und die Welt in den Händen hält. Das Gelingen in unserem Tun, das haben wir nicht ganz in der Hand. Wir können große Pläne machen, uns Fantastisches ausdenken, aber was wirklich geschieht, was Wirklichkeit wird, das liegt bei Gott.
Manche deuten den Spruch so weit, dass Gott alles steuern und vorherbestimmen würde. Dann wären wir Menschen nur noch Spielfiguren, die glauben, selbst zu entscheiden, aber diese gefühlte Freiheit wäre Illusion. Tatsächlich hat mir diese Vorstellung zu Schulzeiten gefallen. Ich erinnere mich noch an rege Diskussionen im Religionsunterricht. Damals dachte ich: Das ist doch nicht so schlimm, wenn Gott alles bestimmt. Es ist doch egal, ob die Freiheit nur eingebildet ist, solange es sich so anfühlt, als wäre ich frei. Aber was ist denn, wenn es sich nicht so anfühlt? Menschen erleben Unfreiheit, Menschen erleben Schicksalsschläge. Das wären dann aber Gottes Schläge, denn Gott lenkt ja. Spätestens jetzt wird es schwierig.
Im Kirchenjahr sind wir in der Zeit zwischen Weihnachten und Ostern. Gott ist Mensch geworden, wahrer Mensch mit eigenen Gedanken und Gefühlen. Jesus lebt und fühlt wie seine Mitmenschen. Sein Los ist der Tod am Kreuz. Was denkt der Mensch Jesus? Lenkt der Vater im Himmel? Im Garten Gethsemane betet Jesus:
Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber;
doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! (Mt 26,39)
Gott gibt sich selbst ins Leiden, in die Unfreiheit, er wird ausgeliefert. Als Mensch überwindet Gott den Tod und die Unfreiheit für die Menschen: Ein Weg durchs Kreuz ins Licht. Das macht mir Hoffnung und das gibt mir Mut, mein Leben in Gottes Hände zu legen. Ich vertraue darauf, dass Gott mich auch im Leiden begleitet, so wie er mir Freude geschenkt hat. Gott begleitet mich durch Umbrüche und Wendepunkte.
Ich habe mir nicht ausgedacht, Vikar in der Bartholomäusgemeinde zu werden und auch nicht, mich im März 2025 verabschieden zu müssen. Das waren andere Menschen, aber Gott hat auf jeden Fall seinen Segen dazu gegeben. Ich bin sehr dankbar für diese Zeit, für die wunderbaren Begegnungen und unsere Gemeinschaft. Es erfüllt mich mit Kraft und Freude für meine neuen Aufgaben und ich habe viel lernen und erfahren dürfen. Ganz bestimmt kann ich „Auf Wiedersehen“ sagen, denn meine Familie und ich werden der Bartholomäusgemeinde verbunden bleiben.
Fridolin Wegscheider
23. Sep. 2024 | Allgemein, Angedacht
Als der Nürnberger Drucker Jobst Gutknecht um die Jahreswende 1523/24 das „Achtliederbuch“ herausgab, begann damit eine neue Tradition. Es wurde gemeinsam in der Kirche gesungen und auch die ersten Chöre entstanden. Das hatte mit dem reformatorischen Grundsatz der Beteiligung aller Gläubigen zu tun und damit, dass die gute Nachricht von der freien Gnade auch durch Lieder verbreitet werden sollte. Lieder wie „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ wurden wie das Mondlicht in der düsteren Nacht des Lebens empfunden. Bis heute können wir ein Lied davon singen, wie viel Einfluss Musik auf unser Leben hat.
Für mich ist das gemeinsame Singen in der Kirche oft der stimmungsvollste Moment im Gottesdienst und damit auch der körperlichste. Da spüre ich, dass mein Körper glaubt, hofft, sich freut oder trauert.
Es ist unvorstellbar, wie still die Welt wäre, wenn ihr Schweigen nicht durch Singen und Spielen erfüllt würde. Dabei: So still ist sie ja gar nicht, sondern wir stimmen mit dem Gesang ein in den vielstimmigen Chor der belebten und unbelebten Natur. Und seit September müssen wir das noch mehr tun, da die gefiederten Sänger auf Konzertreise in den Süden geflogen sind und gerade unserem Chor abgehen. Denn so recht reißt uns die Musik nur mit, wenn wir einstimmen in das vielstimmige Lob Gottes. Erst beim Singen entfalten die Verse ihre Kraft. Sie bereichern unsere Seele, indem sie kleine Widerhaken setzen und wir immer wieder durch Ohrwürmer in eine neue Schwingung versetzt werden. Plötzlich schlägt die Stimmung um und wir werden erhoben mit Harmonien und – wenn es glückt – mit Momenten des Singens im Konzert oder auf einer Feier verbunden.
Übrigens wird in jedem Gottesdienst gemeinsam gesungen. Mindestens fünf Lieder werden gespielt. Das gemeinsame Singen ist mittlerweile kein Alleinstellungsmerkmal des evangelischen Gottesdienstes mehr, aber immer noch sehr prägend. Doch die Lieder stammen längst nicht mehr aus Luthers oder barocken Zeiten allein. Viele Liederbücher wurden in den 500 Jahren seit Gutknechts „Achtliederbuch“ herausgegeben und selbst das aktuelle evangelische Gesangbuch ist nicht das einzige Liederbuch, aus dem gesungen wird.
Um mit den vielen schönen Neukompositionen Schritt zu halten, die allein in den letzten Jahren geschrieben worden sind, nutzen wir in der Kirche mittlerweile Bildschirme, um spontan neue Lieder gemeinsam singen zu können. Wenn Sie aber die Geschichte des evangelischen Liedes mal zusammengefasst erleben und einstimmen wollen, schauen Sie doch mal das Video an vom Mitsing-Projekt zum 500. Geburtstag des Gesangbuchs. Zu dieser Präsentation in der Wittenberger Schlosskirche, die auch auf der Briefmarke abgebildet ist, gibt es anlässlich des Jubiläums auch ein Mitsinggesangbuch zum Download.
Sollt ich meinem Gott nicht singen?
Ralf Döbbeling
22. Mai 2024 | Allgemein, Angedacht
In den Psalmen lesen wir es, im Gottesdienst singen wir es und vielleicht ertönt es auch hin und wieder in Ihrem Alltag. Mit einem gewissen Unterton und der Betonung auf der ersten und dritten Silbe, wenn jemand etwas besonders unterstreichen möchte: „Das war aber ein Gewitter. Halleluja.“ So, als ob damit ein Geschehen an Bedeutung gewinnt. Oder wenn man sich mit dem Hammer auf den Finger geschlagen hat. Dann lässt vielleicht der Schmerz schneller nach, wenn ein Halleluja folgt. Was gäbe es sonst für einen Grund, dass dieses hebräische Wort so einen Eingang in die Umgangssprache auch bei Nichtchristen gefunden hat.
Eigentlich ist es ein ganzer Satz mit einer Aufforderung: „Lobt den HERRN“. Und so ist er auch immer wieder im Alltag zu hören, wenn eine Freudenbotschaft unterstrichen werden soll. Da geht der Dank gleich in die richtige Richtung: Nicht dem Zufall oder dem Schicksal wird gedankt, wenn es ein freudiges Ereignis gibt, sondern dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat und immer noch die Fäden in der Hand hält.
Schon in der Antike erschallte das Halleluja in den jüdischen Gottesdiensten und alttestamentlichen Gebetsrufen und wir kennen es in vielen Psalmen. In den christlichen Gottesdiensten wurde es dann noch häufiger benutzt im Zusammenhang mit dem österlichen Auferstehungsruf: „Halleluja – der Herr ist auferstanden – Halleluja.“ So hat es fast eine Scharnierfunktion: Es knüpft an unsere jüdischen Wurzeln an und eröffnet eine neue Zukunft, die untrennbar mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus verbunden ist.
Auch in unseren Gottesdiensten hatte der Jubelruf seinen festen Platz, indem er mit der Brieflesung verbunden war. Allerdings gibt es in unseren jetzigen Gottesdiensten in aller Regel nur eine neutestamentliche Lesung, und zwar das Evangelium. So verschwand das Halleluja heimlich, still und leise.
Schade – ist es doch dieser Ruf, der uns von uns selber und unseren Sorgen aufschauen lässt auf den Auferstandenen, der für uns sorgt. Heißt es doch: „Loben zieht nach oben“.
Wir haben uns das in der Liturgischen Kommission der Gemeinde in den vergangenen Monaten einmal genau angeschaut und lassen das Halleluja wieder eine Heimat im Gottesdienst finden. Es bekommt einen Ehrenplatz unmittelbar vor der Lesung des Evangeliums. Damit uns dieses Lob besser nach oben zieht, stehen wir dazu auf. Dann geht es leichter. Und vielleicht können wir dieses Halleluja wieder mehr in unseren Alltag einziehen lassen. Nicht nur bei durchnässter Kleidung oder einem blauen Daumen als ein Klageruf, sondern als ein Jubelruf auch dann, wenn es wehtut. Denn mit dem auferstandenen Christus gibt es eine neue Wirklichkeit für uns.
Halleluja.
Reinhard Grohmann